Merle bei der Deutschen Dogge - Die traurige Tradition des Tötens der Grautiger

Es mag zunächst sinnvoll erscheinen, einige biologische und genetische Gegebenheiten zu erwähnen, die das Verhältnis vieler Doggenzüchter zu den geborenen Welpen sicherlich geprägt haben: Wie andere Riesenrassen neigt auch die Dogge zu sehr großen Würfen… oftmals zu groß, als dass eine Hündin allein alle Welpen ausreichend ernähren kann. Andererseits befindet sich unter diesen Welpen im schwarz/gefleckten Farbschlag in der Regel nur eine eher kleine Anzahl der begehrten Gefleckten und meist fallen auch einige der von der Zucht ausgeschlossenen Grautiger. Auch war bereits lange vor der Aufklärung der zugrundeliegenden genetischen Ursachen klar, dass nach Kreuzungen zweier Gefleckter Doggen oft überwiegend weiße und meist behinderte Welpen fallen.

All diese Gegebenheiten führten unzweifelhaft dazu, dass in der Doggenzucht das Töten unliebsamer Welpen (Überzahl, Grautiger, Weisstiger) eine gewisse Tradition hat… die auch heute noch fortbesteht: In Frankreich wird bei der Formation zur Zuchtselektion ganz offen das Supprimierenzuchtungeeigneter Welpen als sinnvolle Selektionsmaßnahme empfohlen und auch ohne Scham in die Tat umgesetzt: Im Rahmen des Grautiger-Experimentes des DCF wurden die Welpen sorgfältig ausgezählt und danach zum großen Teil nicht „unter der Mutter belassen“, so die euphemistische Formulierung für die selektive Euthanasie. Ironischerweise waren selbst in diesem Rahmen die Opfer in den meisten Fällen Grautiger, aber auch einige Schwarze… nur die gefleckte Farbe ist eine Überlebensgarantie.

In Deutschland ist die Situation geringfügig anders: Hier ist zum einen nach § 17 Nr. 1 des Tierschutzgesetzes das Töten von Wirbeltieren ohne vernünftigen Grund strafbar und zum anderen der Tierschutzgedanke generell stärker in der Bevölkerung verankert. Es ist hier undenkbar, dass ein Rasseverein das Töten von Welpen offen als Selektionstechnik bewirbt. Jedoch halten sowohl der DDC als auch die KyDD die Formulierungen in ihren Zuchtordnungen recht schwammig: Beim DDC ist von der Zahl der „aufgezogenen“ Welpen die Rede, wenn es um die Dauer bis zur Wiederbelegung geht. Die KyDD geht noch einen Schritt weiter: Statt von aufgezogenen spricht man hier von „eingetragenen“  Welpen und fügt einige zumindest ambivalente Präzisierungen an:  „Eine Hündin darf nicht mehr Welpen aufziehen, als ihre Kondition es zulässt…Die Zahl der aufzuziehenden Welpen richtet sich nach der Konstitution der Hündin sowie den Aufzuchtmöglichkeiten des Züchters.“  Bei der KyDD darf ganz offensichtlich der Züchter frei entscheiden, wie viele der geborenen Welpen er aufzuziehen gedenkt und was mit den übrigen zu geschehen hat bleibt unbeantwortet im Raum stehen:  Es muss hier die Frage erlaubt sein, ob ein solcher Text kompatibel mit dem Tierschutzgesetz ist, fordert er doch explizit dazu auf, die Zahl der Welpen artifiziell zu reduzieren.

In Realität sind Konstitution der Hündin oder Aufzuchtmöglichkeiten nicht die gängigen Gründe für gewisse Züchter, Welpen nicht aufzuziehen: Es ist in der Regel die „falsche“ Farbe der Welpen: Neben der vereinzelten Beseitigung unliebsamer echter Fehlfarben, die die Elterntiere als Träger unerwünschter Farballele anderer Farbschläge verraten, scheuen sich manche Züchter auch nicht davor, quasi sämtliche geborene Grautiger verschwinden zu lassen: So gibt es Zwinger, die nach weit über 200 nach Gefleckt x Schwarz-Kreuzungen geborenen Welpen lediglich je einen (über)lebenden Grautiger vorzuweisen haben: Der uralte lebensverachtende und tierschutzwidrige Geist der „grautigerfreien“ Zucht durch radikale Ausrottung dieser Farbe gleich nach der Geburt weht hier noch durch so manche Zuchtstätte, die sich in vielen Fällen - so gesehen nicht einmal ganz zu Unrecht – auf ihre langjährige Tradition beruft… in diesem speziellen Fall allerdings eine bevorzugt diskret im Hinterzimmer ausgeführte Tradition.

Wir sollten hier also festhalten, dass in der Doggenzucht traditionell aufgrund der großen Würfe bei einem in der Geflecktzucht eher kleinen Anteil an farblich erwünschten Welpen diejenigen mit unerwünschter Farbestets als aussortierbares Gut angesehen wurden, das durchaus nicht notwendigerweise systematisch am Leben gelassen werden muss… eine Einstellung, die bis heute fortdauert und sicherlich einen Anteil daran hat, dass von einigen Züchtern die Erzüchtung von Welpen mit Sinnesbehinderungen als akzeptabler Nebeneffekt angesehen wird: Wenn die Beseitigung von gesunden Welpen mit unerwünschten Farben als ethisch unproblematische und übliche Selektionsmaßnahme angesehen wird, ist es natürlich eine logische Konsequenz dieser Einstellung, dass die Euthanasie von wahrscheinlich behinderten Doppelmerle-Welpen erst recht nicht als verwerflich betrachtet wird: Von diesem Standpunkt aus ist das Risiko der Geburt von behinderten Welpen nach Gefleckt-Kreuzungen eher theoretischer Natur, da die Option der Euthanasie generell als probates Mittel gegen unpassende Welpen im allgemeinen angesehen wird.