Das "Wobbler-Syndrom"

Das Wobbler-Syndrom erhielt seinen Namen aufgrund der typischen Veränderungen im Bewegungsablauf der betroffenen Hunde (to wobble, engl. = schwanken, wackeln).
Der typische unsichere und unkoordinierte Gang und breitbeinige Stand der Hinterhand ist durch Lähmungserscheinungen zu erklären. Hinzu kommt oft eine verschlechterte "steifbeinige" Beweglichkeit der Vorderhand und Schmerzen im Hals-/Nackenbereich, die dazu führen, dass der Hund eine Schonhaltung mit gesenktem Kopf einnimmt.

Prinzipielle Ursache des Wobbler-Syndroms ist eine Verengungen des Wirbelkanals im Bereich der Halswirbelsäule, die im Endeffekt zu einem starken Druck auf das Rückenmark führt (daher wird das Wobblersyndrom "fachgerecht" auch als Zervikale Spondylomyelopathie bezeichnet).
Diese Einengung kann darauf beruhen, dass Wirbelkörper sich nicht in ihrer richtigen Position befinden (sozusagen "verkantet" sind) oder fehlgebildet sind ("Verdickungen" oder "Auswüchse" nach innen aufweisen). Aber auch die Bandscheiben und andere die Wirbelsäule stabilisierender Bänder können in den Wirbelkanal hineinragen. Das Problem kann an einem einzelnen oder auch an mehreren Wirbeln gleichzeitig auftreten.


Anatomische Grundlagen und Krankheitsursachen
Auf den ersten Blick erscheint es erstaunlich, dass Veränderungen der Halswirbelsäule sich besonders auf die Hintergliedmaßen auswirken. Um dies zu verstehen, ist ein kleiner Ausflug in die Anatomie der Wirbelsäule notwendig.
Die Wirbelsäule besteht aus vielen Wirbelköpern, die untereinander gelenkig verbunden sind, um die notwendige Beweglichkeit zu ermöglichen. Als "Stoßdämpfer" zwischen den Wirbeln dienen dabei die Bandscheiben. Die Wirbelkörper besitzen einen inneren Hohlraum, der sozusagen ein lange röhrenförmige Verbindung vom Gehirn bis zur Schwanzwurzel bildet und in dem sich das Rückenmark (ein Teil des zentralen Nervensystems) befindet.

Skelett des Hundes   3d-CT-Darstellung Wirbelsäule - zum Vergrößern klicken!
Anatomie - das Skelett des Hundes (zum Vergrößern auf das Bild klicken!).
   3D-Bild der Halswirbelsäule (Computertomografie)

Betrachtet man dieses Rückenmark im Querschnitt, lassen sich zwei Anteile unterscheiden, die auch sehr unterschiedliche Funktionen haben: Die sogenannte graue Substanz liegt zentral und dient sozusagen als "Steuer- und Schaltsystem", die weiße Substanz in der Außenschicht wird durch zahlreiche Nervenfasern gebildet und stellt das Leitungssystem dar. Solche Nervenfasern ("Spinalnerven") treten regelmäßig zwischen den Wirbelkörpern aus dem Rückenmark heraus und sind für die Reizleitung zwischen zentralem Nervensystem und Muskulatur sowie allen anderen Organen verantwortlich.

Über die im Rückenmark verlaufenden Nervenbahnen arbeitet also das Gehirn u.a. mit der Muskulatur zusammen und übermittelt nicht nur "Bewegungsreize" sondern auch "Koordinationsbefehle", um die Aktivitäten der einzelnen Muskeln sinnvoll aufeinander abzustimmen. Werden die sehr empfindlichen Nervenfasern geschädigt, kommt es zu mehr oder weniger schweren Ausfallserscheinungen. Je nach dem, wie stark die Druckeinwirkung ist, und welche Nervenfasern besonders betroffen sind, sind die Symptome unterschiedlich ausgeprägt und verändern sich auch im Laufe der Erkrankung. Unbehandelt kommt es meist zu einer Verschlechterung des Krankheitsbildes, die schleichend verlaufen aber auch plötzlich einsetzen kann.

Die schematische Abbildung zeigt links einen normalen Wirbelkanal, rechts einen in den Wirbelkanal hineinragenden deformierten Wirbelbogen, der Druck auf das Rückenmark ausübt.

 

Einengung des Wirbelkanals bei Wobbler-Syndrom - schematisch

 

Über die genauen Ursachen der verschiedenen Veränderungen an der Halswirbelsäule gibt es bis jetzt keine endgültige Klarheit.

Das Wobbler-Syndrom tritt gehäuft bei (jungen) Doggen und (erwachsenen) Dobermännern auf, die zusammengenommen über 80% der klinischen Erkrankungen ausmachen [1]). Eine solche starke Prädisposition weist deutlich auf den genetischen Hintergrund der Erkrankung bei diesen Rassen hin, wobei der genaue Erbgang nicht geklärt ist [2] [3]. Männliche Tiere erkranken häufiger als weibliche. Weiterhin werden ernährungs- und belastungsbedingte krankheitsauslösende Faktoren angenommen (forciertes Wachstum, Kalziumüberschuss in der Wachstumsphase, kleinste Verletzungen durch Zerrungen, ruckartige Leinenbewegungen etc.). Da solche umweltbedingten Einflüsse aber auch bei anderen großen und Riesenrassen mit gleicher Häufigkeit zu erwarten sind, ist davon auszugehen, dass die Rassedisposition, also die erbliche Komponente im Vordergrund steht.


Symptome und Diagnostik
Ehe die Patienten beim Tierarzt vorgestellt werden, besteht oft schon eine längere Vorgeschichte, da die Krankheit in der Regel schleichend beginnt. Erste Anzeichen sind meist Probleme der Hinterhand wie breitbeiniger Stand und unsicherer, unkoordiniert wirkender Gang. Die Hunde haben durch die Hinterhandschwäche Probleme beim Aufstehen. Mit Fortschreiten des Krankheitverlaufs zeigen sich zunehmende Lähmungserscheinungen der Hinterhand, äußerlich erkennbar auch durch von oben abgewetzte Krallen (bedingt durch das Nachschleifen der Pfoten beim Laufen). Zusätzlich treten Probleme im Bereich der Vorderhand auf, die sich durch einen steifen "trippelnden" Gang zeigen können. In einem Teil der Fälle kommt es zu ausgeprägter Schmerzsymptomatik im Halsbereich, besonders beim Strecken des Halses nach oben. Diese Hunde zeigen dann eine typische gesenkte Kopfhaltung, da durch die nach vorn gebeugte Halswirbelsäule eine Druckentlastung bewirkt wird.
Aus diesen körperlichen Symptomen wird der Tierarzt insbesondere bei den prädisponierten Rassen (Dogge, Dobermann) bereits eine Verdachtsdiagnose stellen. Die weitere Diagnostik ist dann nur durch bildgebende Verfahren (Röntgen mit Kontrastmittel, Computertomografie, MRT) möglich. Alle anderen klinischen Befunde (Blutuntersuchungen etc.) sind in der Regel normal. Differentialdiagnostisch sind verschiedene andere Erkrankungen des Rückenmarks (Entzündungen, Verletzungen, Tumore etc.) auszuschließen.
Mit Hilfe der bildgebenden Verfahren ist es möglich, den genauen Ort und Typ der Wirbelsäulenveränderung zu erkennen. Nur auf dieser Basis können therapeutische Entscheidungen getroffen werden. Die korrekte Interpretation solcher Befundbilder ist ausschließlich den Experten auf diesem Gebiet zugänglich, weshalb betroffene Hundebesitzer unbedingt eine spezialisierte Tierklinik aufsuchen und sich ausführlich beraten lassen sollten.


Im folgenden Beispiel sieht man computertomografische Bilder der Halswirbelsäule einer Dogge mit folgender Diagnose: Knöcherne Stensoe C3/4 [= 3./4. Halswirbel], sanduhrförmige Kompression des Myelons auf der Höhe C3/4, Bandscheibenvofall C6/7 [= 6./7. Halswirbel], Myelon mit seitlicher Abweichung nach links : Im Ergebnis eine Halswirbelstenose an den beiden Stellen mit Kompression des Myelons, die zu den Lähmungserscheinungen führt.

CT Wobbler Dogge  
CT Wobbler Dogge
CT Wobbler Dogge   CT Wobbler Dogge
CT Wobbler Dogge   CT Wobbler Dogge

[Herzlichen Dank an Iris Baumbach, die uns diese Aufnahmen überlassen hat!]


Therapie und Prognose
Die Therapie und damit auch die Prognose richtet sich nach dem genauen Befund des einzelnen Patienten und kann damit sehr unterschiedlich sein.
Die "konservative Therapie" beschränkt sich auf Ruhigstellung (Bewegungen einschränken, evtl. eine stützende Halskrause verwenden) und den Einsatz entzündungshemmender Mittel. In vielen Fällen wird sich jedoch ein operativer Eingriff nicht vermeiden lassen. Dieser hat zum Ziel, die bestehenden "Druckstellen" zu beseitigen und gleichzeitig bei Bedarf die Wirbelsäule an den erkannten "Schwachpunkten" zu stabilisieren. Solche Operationen sollten nach exakter Diagnosestellung unbedingt langjährig erfahrenen Fachleuten vorbehalten sein, auch wenn dies aufgrund von größeren Entfernungen zur Spezialklinik für den Tierhalter einen hohen Aufwand bedeuten kann.
Natürlich ist eine solche Operation keine "Kleinigkeit" und bedarf insbesondere in den ersten Wochen einer intensiven Nachsorge und damit einer engen Zusammenarbeit zwischen Tierklinik und Tierhalter. Das größte praktische Problem besteht in der notwendigen Ruhigstellung des Patienten.
Die Prognose - also der langfristige Therapieerfolg - hängt von sehr vielen Faktoren ab und kann zwischen gut und sehr schlecht liegen. Insbesondere ist der Typ der Wirbelsäulenveränderung ausschlaggebend. Ein Therapiebeginn im fortgeschrittenen Krankheitsstadium ist meist weniger erfolgreich und Komplikationen nach dem operativen Eingriff können die Prognose erheblich beeinflussen.

 



Literaturnachweis:

[1] Chirurgie der Kleintiere, Theresa Welch Fossum, Urban & Fischer Verlag/Elsevier
[2] Control of Canine Genetic Diseases, George A. Padgett, Howell Book House
[3] Rassedispositionen bei Hund und Katze, Alex Gough, Urban & Fischer Verlag/Elsevier