Doppel-Piebald – halb so schlimm? Betrachtungen zur Verwendung von Piebald in der Doggenzucht - Piebald und die Gesundheit

Piebald stellt einen Risikofaktor für Taubheit dar aufgrund desselben Mechanismus, der der Merle-Taubheit zugrunde liegt: Die Ausbildung der weißen Abzeichen entsteht durch eine Entwicklungsstörung der Pigmentzellen und wenn diese Pigmentzellen im Innenohr fehlen, führt dies durch degenerative Vorgänge an dieser Stelle innerhalb weniger Wochen nach der Geburt zur Taubheit. In zahlreiche Rassen mit piebaldbedingten Abzeichen ist die pigmentmangelbedingte Taubheit ein häufiges Problem (siehe hier).

In der Welt der Doggenzucht ist diese Problematik weit weniger bekannt als die Doppelmerle-Taubheit, welche insbesondere vor dem Verbot der Geflecktkreuzungen natürlich sehr viel gegenwärtiger war und deren Existenz noch zu Beginn dieses Jahres durch die FCI-Direktive zum Verbot der Merlekreuzungen in Erinnerung gerufen wurde. Im Prinzip sollte der Standard die Dogge vor gesundheitsgefährdenden Auswüchsen der extremen Piebald-Selektion schützen, da er zum einen für Gefleckte über den ganzen Körper verteilte Flecken fordert und zum anderen als maximale Ausdehnung der weißen Abzeichen Plattenhunde mit großen schwarzen Platten vorsieht. (Vom genetischen Standpunkt aus wäre es sinnvoller und logischer, auch solche relativ stark pigmentierten Plattenhunde nicht zur Zucht zuzulassen, wie dies im amerikanischen Standard der Fall ist, da es sich auch hier im Prinzip um homozygote Piebalds handelt). Wir haben allerdings im Abschnitt zum Standard festgestellt, dass diese Begrenzungen des Standards im Rahmen der Zuchtzulassung nicht respektiert werden, sondern extreme Ausprägungen der weissen Abzeichen lediglich mit einem Punktabzug bewertet werden, nicht jedoch zum Zuchtausschluss führen.Infolgedessen ist der Weg frei, unter Zuhilfenahme des Piebald-Gens fast komplett weiße Grautiger, Gefleckte und Schwarze zu erzüchten, die sich nur noch durch die unterschiedliche Färbungder Abzeichen an den Ohren voneinander unterscheiden lassen. Wie ist das Taubheitsrisiko solcher Hunde einzuschätzen?

Hierzu mag man sich zunächst vor Augen führen, dass in Rassen, in denen das Piebald-Allel fixiert ist (wo also alle Hunde Doppel-Piebalds sind), angeborene Taubheit oft stark vermehrt vorkommt und insbesondere Hunde mit wenig Pigment gefährdet sind (Famula TR, 2007) (Strain GM, 2004). Der Anteil der ein- oder beidseitig tauben Hunde lag bei den untersuchten Rassen zwischen 7 und 20%, beim Sonderfall des Dalmatiners, der wahrscheinlich eine zusätzliche Mutation besitzt, bei 30% (Genaueres im Artikel zur Taubheit). Untersuchungen bei Doggen gibt es hinsichtlich Piebald nicht, da normalerweise überwiegend weiße homozygote Piebalds bei Doggen nur ausnahmsweise als „mendelscher Unfall“ auftreten und in der Zucht gar nicht verwendet werden sollten, wenn der Standard respektiert würde. Es gibt jedoch keinen Anlass zu vermuten, dass eine wenig pigmentierte Doppel-Piebald-Dogge vom Taubheitsrisiko mehr verschont wäre als Hunde anderer Rassen.

Nun kommt beim schwarz/gefleckten Farbschlag hinzu, dass hier mit zwei weiteren Allelen gezüchtet wird, die die Pigmentierung aufhellen, das Merle und das Harlekin-Allel. Für das Merle-Allel ist es ebenso wie für das Piebald-Allel hinlänglich wissenschaftlich nachgewiesen, dass es das Taubheitsrisiko erhöht:  Deutlich vermehrt, wenn es homozygot vorliegt (die bekannten Doppelmerles), aber auch heterozygote Merles weisen eine höheren Anteil an ein- oder beidseitig tauben Hunden auf (Strain GM C. L., 2009). Es gibt keine wissenschaftlichen Untersuchungen zum Anteil an hörgeschädigten Hunden bei den Gefleckten,  doch Strain schätzt das Risiko als „relativ hoch“ ein, was logisch erscheint, da Gefleckte stets heterozygote Merles mit zusätzlichem Pigmentverlust aufgrund des H-Allels sind.

Es ist nun eine schlichte Tatsache, dass ein fast komplett weißer Grautiger oder Gefleckter, der homozygot für Piebald ist, eine Kombination von mehreren Allelen darstellt, die in gleicher Weise die Entwicklung von Pigmentzellen stören und damit das Taubheitsrisiko erhöhen, die in der Hundewelt recht einmalig ist, denn das H-Allel ist bislang lediglich bei der Doggen nachgewiesen worden. Was die Kombination von heterozygotem Merle mit Piebald angeht, so kommt sie zwar insbesondere bei einigen Collie-artigen Rassen vor, jedoch ist bei diesen die Pigmentierung nicht so weit zurückgedrängt wie bei den in letzter Zeit vermehrt zur Zucht eingesetzten weißen Doggen mit schwarzen Kopfabzeichen. Und trotz ihrer noch relativ starken Pigmentierung bemerkt Strain, dass Hunderassen wie Collies, Shelties und Border Collies, in denen auch das Piebald-Allel vorkommt, stärker von Merle-Taubheit betroffen sind als andere Rassen (Strain GM C. L., 2009). Platt. et al. fanden bei ihrer Untersuchung an Border Collies einen Anteil von 25% Merle-Trägern unter den tauben Hunden, obwohl der Anteil an allen untersuchten Hunden lediglich 6,3% betrug. Diese Feststellungen können als deutliche Hinweise für die erhöhte Gefahr von Hörschäden bei der Kombination der beiden Taubheitsrisikofaktoren Piebald und Merle gewertet werden.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Verwendung von Doppel-Piebalds  zu standardfernen Hunden führt, die höheren Gesundheitsrisiken, insbesondere dem der angeborenen Taubheit ausgesetzt sind.

Hier stellt sich also zwangsläufig die Frage, mit welcher Motivation eine solche Zuchtwahl stattfindet.