Pigmentmangelbedingte Taubheit beim Hund - Anatomie und Funktion des Ohres

Das Ohr besteht aus drei anatomischen Einheiten: Außenohr, (Ohrmuschel und Gehörgang), Mittelohr (Trommelfell, Gehörknöchelchen und Eustachische Röhre) und Innenohr (Schnecke und Bogengänge). Beim Hörvorgang gelangen Schallwellen über den Gehörgang an das Trommelfell und versetzen dieses in Schwingung. Diese Vibrationen werden über die drei gelenkig verbundenen Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel (so benannt aufgrund ihrer prägnanten Formen) an die Schnecke übertragen: Der Fuß des Steigbügels ist über eine Öffnung beweglich mit den drei flüssigkeitsgefüllten Kammern im Inneren der Schnecke verbunden: Der durch die Schallwellen in Vibration versetzte Steigbügel kann so die Schwingungen an die Flüssigkeit in den Kammern übertragen und diese in eine Wellenbewegung versetzen. Diese Übertragung der Schallwellen vom äußeren Ohr bis zur Schnecke des Innenohres funktioniert auch bei pigmentmangelbedingter Taubheit. Der degenerative Vorgang, der zum Verlust des Hörvermögens führt, tritt in der Schnecke selber auf.

 

In der Schnecke befinden sich wie gesagt, drei flüssigkeitsgefüllte Kammern (Scala vestibuli, media und tympani im Bild) und die Vibration des Steigbügelfußes versetzt die Flüssigkeit in eine Wellenbewegung. Hier wird die Information über das in der mittleren Kammer (Scala media oder Schneckengang) befindliche sogenannte Cortische Organ mithilfe seiner Sinneszellen, den Haarzellen, weiterverarbeitet: Die Welle wird von den „Haaren“ der äußeren Haarzellen wahrgenommen, die mit der Flüssigkeit in Kontakt sind. Die äußeren Haarzellen übertragen die Schwingungen dann auf die inneren Haarzellen, welche diese wiederum schließlich in Nervenimpulse umwandeln, die zum Gehirn geleitet werden. Damit ist der (sehr vereinfacht dargestellte) Hörvorgang abgeschlossen. Zum genauen Verständnis der Taubheitsproblematik muss noch eine weitere Struktur der mittleren Kammer, des Schneckengangs, erwähnt werden, die sogenannte Stria vascularis: Es handelt sich hier um ein blutgefäßreiches Gewebe an der Außenwand des Schneckengangs (siehe Zeichnung), das an der Produktion der Flüssigkeit beteiligt ist, mit der dieser gefüllt ist. Die Stria vascularis enthält unter anderem auch Pigmentzellen (Melanozyten) …womit wir uns endlich einer Verbindung zum eigentlichen Thema, der pigmentmangelabhängigen Taubheit näheren.

 

Die erbliche angeborene Taubheit steht wie gesagt in aller Regel mit der Mutation von Genen in Zusammenhang, die für die Ausbildung von weißen oder aufgehellten Flächen im Fell verantwortlich sind, also dort einen Pigmentmangel hervorrufen.

Die ersten Publikationen zur Taubheit bei Tieren stammen vom Ende des 19. Jahrhunderts und handelten vom Dalmatiner (Rawitz B, 1896) Bis heute ist der Dalmatiner hinsichtlich seiner Hörfähigkeit die am häufigsten wissenschaftlich untersuchte Hunderasse.

Auf welchem Mechanismus beruht nun die pigmentmangelbedingte Taubheit?

Die Ursache liegt in der Degeneration des blutgefäßreichen Gewebes an der Wand des Schneckenganges, der Stria vascularis,  die dann auftritt, wenn dieses Gewebe keine Pigmentzellen enthält. In Folge der Degeneration fällt dann die „Decke“ des Schneckenganges (die sogenannte Reissner-Membran, siehe Zeichnung) in sich zusammen und schließlich sterben auch die Sinneszellen des Corti-Organs im  Schneckengang ab… also dessen Haarzellen, die, wie oben dargestellt, für das Hörvermögen unverzichtbar sind: Der Hund wird taub, weil die Weiterleitung der Information durch die Zerstörung der Haarzellen an der Stelle der Umwandlung der Schallwellen in Nervenimpulse unterbrochen ist. Es ist bislang nicht bekannt, welche Funktion die Pigmentzellen in diesem Zusammenhang und an diesem Ort genau haben und auch nicht, wieso deren Abwesenheit zur Degeneration des Gewebes führt, aber offensichtlich sind die Melanozyten unverzichtbar zur Funktionserhaltung des Innenohres.

Untersuchungen an Dalmatinern haben gezeigt, dass die degenerativen Vorgänge, die zur Taubheit führen, bereits am ersten Tag nach der Geburt der Welpen einsetzen (Johnson LG, 1973). Die durch den Niedergang der Sinneszellen bedingte Taubheit wird jedoch nicht vor der dritten bis vierten Lebenswoche manifest (Strain, 1996).